Diskussion zur Verwendung der Spirometrie bei Routineuntersuchungen im Krankenhaus
Bei Lungenfunktionstests denken wir in der Regel an Untersuchungen im ambulanten oder post-akuten Gesundheitsbereich. Selbst relativ einfache Spirometrie-Tests werden typischerweise in einer Arztpraxis oder Klinik durchgeführt, wenn der Arzt während des «chronisch-stabilen Zustands» einer Atemwegserkrankung eine Diagnose oder eine kontinuierliche Einschätzung geben möchte.
Aber ist das genug?
Verpassen stationäre HNO-Abteilungen hier die Gelegenheit, ihren Mehrwert zu zeigen und die langfristige Patientenversorgung positiv zu beeinflussen? Wir schauen uns das mal näher an.
Historische Einsatzmöglichkeiten für Spirometrietests #
Seit jeher spielt die Spirometrie im stationären Bereich eine zwar begrenzte (aber nicht weniger wichtige) Rolle. Die vielleicht naheliegendste Nutzung liegt in der präoperativen Phase, insbesondere wenn ein Patient ein erhöhtes Risiko für postoperative pneumologische Komplikationen (PPCs) aufweist.
Vor 10 Jahren war dies vielleicht die erste klinische Anwendung der Spirometrie: Jene Patienten zu identifizieren, die für einen chirurgischen Eingriff im Thorax- oder Abdominalbereich aufgenommen worden waren, aber bei denen es irgendwie versäumt worden war, vorher eine pneumologische Abklärung durchzuführen. Das war sicher nicht die optimale Lösung, aber zweifellos besser als gar nichts.
Eine Studie aus dem Jahr 2018 ergab, dass bei Populationen mit einem relativ hohen Risiko (über 60-Jährige, unter 60-Jährige mit einer aktiven chronischen Atemwegserkrankung oder aktive Raucher) der vorhergesagte FVC-Prozentwert invers mit dem Risiko von PPCs bei Eingriffen im Magen- oder Darmbereich korreliert1.
Vom Zusammenhang her macht das Sinn: Hat Ihr Patient vor der Operation eine eingeschränkte Lungenkapazität, reicht diese wahrscheinlich während der Erholungsphase nicht aus und könnte möglicherweise zu einer Atelektase führen.
Die Verwendung der Spirometrie zur Risikoabschätzung ist jedoch nicht unumstritten – insbesondere, wenn es um extrathorakale Eingriffe geht. Die aktuellsten Richtlinien zur Risikobewertung des American College of Physicians geben an, dass PFTs «bei Patienten mit einer vorangegangenen Diagnose einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung oder Asthma angemessen sein könnten», womit sie PFTs bei Menschen ohne erkennbare Risikofaktoren im Wesentlichen auf die gleiche Stufe wie eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs stellen2.
Obwohl die Leitlinie bereits über 10 Jahre alt ist, wurde sie 2012 durch eine Meta-Analyse aus dem Vereinigten Königreich untermauert, die keine signifikanten Anhaltspunkte finden konnte, welche einen breiten Einsatz der Spirometrie (oder verschiedener anderer üblicher Tests) als präoperatives Screening-Instrument3 unterstützen würden.
Anders verhält es sich bei Menschen mit eindeutigen Risikofaktoren, wie z. B. einer vorherigen Diagnose oder einer Belastungsintoleranz ohne offensichtliche Ursache. In diesen Fällen spielen Atemtests eine offensichtlichere Rolle, auch um festzustellen, ob eine «Dyspnoe unbekannter Ätiologie» auf eine Lungenerkrankung oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zurückgeführt werden kann.
Trotzdem ist selbst bei diesen Anwendungsbereichen die Nützlichkeit noch nicht erwiesen, und es gibt Stimmen, die der Meinung sind, dass die mit Hilfe der Spirometrie gewonnenen zusätzlichen Daten einer guten körperlichen Untersuchung nicht viel hinzufügen – jedenfalls nicht genug, um bei einer Risikoeinschätzung4 einen entscheidenden Unterschied zu bewirken.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die meisten dieser Fälle mittlerweile in der ambulanten Gesundheitsversorgung erkannt werden können, was wiederum den Nutzen einer Spirometrie im Krankenhaus einzuschränken scheint.
Empfehlungen zur Durchführung von Spirometrie-Tests bei stationär aufgenommenen Patienten #
Während die präoperative Spirometrie immer mehr an Bedeutung verliert, kommt eine neue Nutzungsmöglichkeit zunehmend in Betracht.
Wie in der Einleitung erwähnt, wird eine Spirometrie meist in einer stabilen Krankheitsphase eines Patienten durchgeführt. Beispielsweise empfiehlt die Global Initiative for Chronic Lung Disease (GOLD) die Durchführung von PFTs etwa 12–16 Wochen nach einer stationären Aufnahme5.
Diese Empfehlung resultiert wie alle Arbeiten von GOLD aus verschiedenen Meta-Analysen und verwandten Studien und stellt die denkbar beste Empfehlung für die Erstdiagnose einer chronischen Obstruktion in einer perfekten Welt dar.‑ Natürlich leben weder wir noch unsere Patienten in einer perfekten Welt – und wir können nicht zulassen, dass das Perfekte zum Feind des Guten wird. Das bedeutet, dass es in der realen Welt einige Schwierigkeiten bezüglich der GOLD-Empfehlung gibt.
An erster Stelle sei zu erwähnen, dass es immer noch zu viele Praxen gibt, die keinen Zugang zu Spirometrie-Geräten oder entsprechend qualifiziertem Personal haben, um hochwertige Spirometrie-Daten zu erhalten.
Mindestens ein Viertel der Hausarztpraxen gibt an, keinen Zugang zu entsprechender Ausrüstung zu haben, und nur ein Drittel der COPD-Betroffenen sagt, dass bei ihnen eine Spirometrie durchgeführt wurde, nachdem sie über Symptome 6berichtet hatten. Nach Angaben des National Board of Respiratory Care (NBRC) wurden bisher weniger7 als 20.000 Bescheinigungen für zertifizierte oder eingetragene eingetragener Lungenfunktionstechniker vergeben7. Vergleichen Sie das mit den etwa 325.000 Hausärzten in den Vereinigten Staaten8, wird der Versorgungsmangel überdeutlich.
Diese Probleme führen zu einem hohen Patientenaufkommen in pneumologischen Fachpraxen und speziellen PFT-Laboren, die natürlich weniger zahlreich vorhanden sind. In den USA gibt es schätzungsweise 12.000 Lungenfachpraxen, aber selbst diese sind eher in der Nähe von Ballungsräumen angesiedelt, und nur ein Drittel der COPD-Betroffenen in ländlichen Gebieten hat in einem 15-km-Umkreis um das eigene Zuhause Zugang zu einer solchen Praxis. Satte 5 % müssen 80 km oder noch weiter fahren, um ihren Lungenfacharzt 9aufzusuchen.
Es gibt schätzungsweise etwas mehr als 5.000 PFT-Labore in den Vereinigten Staaten, die potenziell besser erreichbar sind, da sie in der Regel eng mit Krankenhäusern 10verbunden sind oder sich in diesen befinden.
Gleichzeitig sind bei Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen Transport- und Logistikprobleme aber weit verbreitet (ein wesentlicher Grund dafür, dass die pulmonale Rehabilitation immer noch zu wenig eingesetzt wird), was zusätzliche Zugangshürden darstellt, selbst wenn die geografische Entfernung keine Rolle spielt11.
Die aktuelle COVID-19-Pandemie wirft zusätzliche logistische Probleme auf.
Viele PFT-Labore sind entweder geschlossen oder weisen aufgrund des vom Virus ausgehenden Risikos auf eine stark eingeschränkte Verfügbarkeit hin. Auch wenn es sicherlich Möglichkeiten gibt, die Labore wieder zu öffnen und routinemässige Atemtests mit entsprechenden Sicherheitsmassnahmen wieder aufzunehmen, sieht es doch so aus, als ob einige Gebiete stärker betroffen sein könnten und Tests noch weiter einschränken werden.
Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Diagnostik und Behandlung einer Vielzahl von Herz-Kreislauferkrankungen und ist einer der Verursacher versteckter Kosten in der Lungenheilkunde. Gleichzeitig sehen wir immer noch Menschen, die stationäre Behandlungen für Nicht-COVID-19-Erkrankungen benötigen. Warum also nicht die Tests zu ihnen bringen, anstatt sie zu den Tests zu bitten?
Die Idee erscheint radikal und steht im Widerspruch zur bisherigen Praxis und den aktuellen Richtlinien. Es gibt jedoch gute Argumente, die dafür sprechen, und zwar basierend auf mehreren Studien, die in den letzten Jahren herausgekommen sind. Vielleicht am wichtigsten waren die Ergebnisse eines Teams der Wake Forest School of Medicine aus dem Jahr 2018, die zeigen, dass eine Spirometrie bei Patienten, die wegen einer COPD-Exazerbation stationär aufgenommen wurden, einen positiven prädiktiven Wert von 83 % für eine chronische Obstruktion aufweist (verifiziert während eines chronisch stabilen Zustands12).
Zwischen stationärer und ambulanter Spirometrie gab es in dieser Studie eine Fehlerspanne von nur 1 %, was die Zulässigkeit von Tests im Krankenhaus (wo sich die meisten PFT-Labore und qualifizierten Mitarbeiter befinden) unterstreicht. Die Arbeitsgruppe war zwar nicht in der Lage, den Schweregrad der Obstruktion vorherzusagen, aber angesichts der Depriorisierung der Atemwegsobstruktion nach erfolgter Diagnose ist dies wohl eher nebensächlich. Die Vorteile, die sich aus der Entdeckung von COPD bei zuvor nicht diagnostizierten Personen ergeben, dürften die Defizite in diesem Punkt bei weitem überwiegen.
Die Ergebnisse der Wake-Forest-Studie untermauern frühere Erkenntnisse aus einer Multi-Center-Studie, die 2012 von einer Arbeitsgruppe der University of Chicago veröffentlicht wurde. Dieses Projekt zeigte auf, dass bei mindestens 75 % der stationär aufgenommenen Patienten (mit Symptomen einer akuten Exazerbation bei COPD oder Asthma13) reproduzierbare Spirogramme von ausreichender Qualität erzielt werden konnten. Was diese Studie von ihrer Nachfolge-Studie unterscheidet, ist, dass diese Arbeitsgruppe in der Lage war, bei etwa einem Fünftel der Personen, bei denen zuvor eine Atemwegserkrankung diagnostiziert worden war, eine Atemwegsobstruktion auszuschliessen.
Dies verdeutlicht ein oft vernachlässigtes Problem in der COPD-Welt: Überdiagnostik kann fast so häufig auftreten wie Unterdiagnostik. Besonders gilt dies für Menschen mit Adipositas, bei denen eine Vielzahl von Ursachen ausserhalb der Lunge zu Kurzatmigkeit führen können, so das Ergebnis der Arbeitsgruppe aus Chicago.
In der Praxis ist die Spirometrie im stationären Umfeld auch für das mit der Durchführung beauftragte Klinikpersonal einfacher geworden. Moderne Spirometer benötigen viel weniger Wartungsaufwand als ältere Modelle.
Dank technischer Fortschritte sind Spirometer heute in der Lage, kalibrierungsfreie Spirometrietests durchzuführen, wodurch das Personal weiter entlastet wird. Dadurch ist die diagnostische Spirometrie im Krankenhaus auch in Zeiten knapper Personalressourcen (z. B. während der aktuellen Pandemie) möglich, was sowohl eine bessere Auslastung des Klinikpersonals als auch bessere Ergebnisse ermöglicht.
Wenn man bedenkt, dass selbst fortgeschrittene Lungenfunktionstests wie die Messung der Diffusionskapazität (DLCO) und des Lungenvolumens mittlerweile mit tragbaren Lungenfunktionstestgeräten durchgeführt werden können, hat heute möglicherweise eine grössere Anzahl von Patienten Zugang zu diesen Tests und viele Lungenfachabteilungen verfügen über eine neue Strategie, ihre Umsätze zu steigern und den Stellenwert von Atemtherapeuten und Lungenfunktionstechnikern zu demonstrieren.
Die Zukunft von Lungenfunktionstests #
Alles in allem ist die Ära der Spirometrie im stationären Bereich noch lange nicht vorbei.
Auch abgesehen von ihrer ursprünglichen Verwendung rein für präoperative Tests (wo sie auch immer noch potenziell nützlich ist), nimmt der Stellenwert der Spirometrie in unseren ungewöhnlichen und unsicheren Zeiten immer weiter zu. Der Einsatz der Spirometrie im Krankenhaus bietet Menschen, die unter Atemnot leiden, Zugang zu aussagekräftigen Tests und verhindert gleichzeitig eine unnötige Exposition gegenüber dem neuen Coronavirus, der Grippe oder anderen Krankheitserregern.
Dadurch sind sowohl die diagnostischen Experten als auch die Geräte verfügbar, sodass bessere klinische Entscheidungen getroffen werden können. Diese können nicht nur den stationären Aufenthalt eines Patienten verbessern, sondern auch den Verlauf seines gesamten Disease-Management-Programms verändern. So können HNO-Abteilungen zu einer Zeit, in der viele Organisationen weiterhin mit den finanziellen Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen haben, zusätzliche Wertschöpfungsmöglichkeiten erschliessen. Und was am wichtigsten ist: Dieses Setting kann die Lebensqualität und das Behandlungsergebnis für eine Vielzahl von Menschen mit Herz- und Lungenerkrankungen verbessern, ganz zu schweigen von den Patienten, bei denen eine Fehldiagnose gestellt wurde.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass einige wirklich komplexe Probleme eine einfache Lösung haben können, wenn man bereit ist, über den Tellerrand zu schauen!
Oh TK, Park IS, Ji E, Na HS. Value of preoperative spirometry test in predicting postoperative pulmonary complications in high-risk patients after laparoscopic abdominal surgery. PLoS One. 2018;13(12). doi:10.1371/journal.pone.0209347 ↩︎
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