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18. Dezember 2020· 9 Minuten Lesezeit

Wie haben sich die jüngsten weltweiten Waldbrände auf die Atemwegsgesundheit ausgewirkt?

Wildfires and respiratory health - particulates - lung disease - copd - ndd medical

Damals, in den ersten Tagen im Januar 2020, schien es, als würde sich die grösste Geschichte des Jahres um Waldbrände drehen. In Australien wüteten verheerende Buschfeuer, die als sogenannter «Black Summer» als eine der schlimmsten Buschfeuersaisons aller Zeiten in die Geschichte eingingen.

Die Brände richteten horrende materielle und wirtschaftliche Schäden an: Schätzungsweise 186.000 Quadratkilometer wurden zerstört und über 100 Milliarden australische Dollar der Wirtschaft *entzogen.

Und natürlich verblassen diese Kosten im Vergleich zu den Verlusten an Menschenleben. Die Brände töteten mindestens 30 Menschen direkt, wobei eine Studie im Sommer letzten Jahres fast 15-mal so viele Todesopfer mit den Bränden in Verbindung bringt, einfach bedingt durch die sekundären Auswirkungen der resultierenden Luftverschmutzung*.

Was sind die häufigsten Arten der Luftverschmutzung?

Die meisten Menschen assoziieren «Luftverschmutzung» mit stereotypischen Quellen:

  • Smog von Autoauspuffrohren und Flugzeugen
  • Industrieschornsteine, z. B. in Kraftwerken und Kläranlagen
  • Viehzucht und die Förderung von Öl und Gas

Diese Quellen produzieren sicherlich grosse Mengen an Feststoffpartikeln und Abgasen, die am häufigsten die von uns eingeatmete Luft verschmutzen, aber sie sind bei weitem nicht die einzigen Quellen.

Waldbrände setzen eine Vielzahl von Substanzen frei, die sich erheblich auf die Gesundheit der Atemwege auswirken, sowohl bei Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen als auch bei Gesunden. Bevor die Folgen von Waldbrandrauch korrekt beurteilt werden können, müssen die Bestandteile des Rauchs (und ihre Auswirkungen auf die Physiologie der Atemwege) geklärt werden.

Wie wirkt sich die Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Atemwege aus?

Die bei der Verbrennung entstehende Luftverschmutzung setzt sich aus mehreren tausend einzelnen Bestandteilen und Verbindungen zusammen, wobei die jeweilige Zusammensetzung vom verbrannten Material* abhängt. Dabei können sogar verschiedene Baum- und Pflanzenarten jeweils unterschiedliche Mengen und Zusammensetzungen von Rauch und Brandgasen erzeugen. Der Inhalt der Rauchfahne lässt sich dabei grundsätzlich in drei Kategorien einteilen:

  1. Feststoffpartikel(PM) sind die sichtbarste Komponente und das, was die meisten Menschen als «Rauch» empfinden. Diese Partikel können sich entweder in festem oder flüssigem Zustand befinden und je nach Grösse in grob (zwischen 2,5 und 10 Mikron Durchmesser), fein (zwischen 0,1 und 2,5 Mikron) und ultrafein (weniger als 0,1 Mikron) unterteilt werden. Jede Kategorie weist ihre eigenen gesundheitlichen Risiken auf, von denen einige erst in jüngster Zeit Beachtung gefunden haben.
  2. Leichtflüchtige Substanzen, zu denen komplexe Kohlenwasserstoffmoleküle wie Benzol und Formaldehyd gehören. Viele dieser Verbindungen sind mehr oder weniger krebserregend, und alle haben das Potenzial, die Atemwege zu reizen.
  3. Und zu guter Letzt enthält Rauch auch noch verschiedene Mengen an giftigen Gasen, wie z. B. Kohlenmonoxid und Zyanwasserstoff.

Wie wirken sich Feststoffpartikel auf die Lunge aus?

Ähnlich wie bei Medikamenten in Form von Aerosolen hängt es auch hier von der Partikelgrösse ab, welcher Teil der Atemwege von Feststoffpartikeln betroffen ist. Die grössten, PM10, bergen in der Regel das geringste langfristige physiologische Risiko. Sie greifen direkt die Schleimhäute an, was in der Regel zu verstärktem Husten, Tränenbildung, verstopfter Nase und ähnlichen Symptomen *führt. Für Menschen, die bereits ein Risiko für Atemwegskomplikationen haben, wie z. B. Asthmatiker oder COPD-Patienten, sind diese Auswirkungen sicherlich problematisch, aber ansonsten fällt die überwiegende Mehrheit dieser Partikel eher unter die Rubrik «lästig», als dass sie eine echte Gefahr darstellen.

Können Feststoffpartikel gesundheitsgefährdend sein?

Weitaus gefährlicher ist die Klasse der PM2,5 Partikel. Diese Partikel sind schon eher wie die Aerosole, die von den meisten Verneblern gebildet werden, und welche offensichtlich darauf ausgelegt sind, lungengängige Partikel zu erzeugen. Die meisten dieser Geräte erzeugen einen Nebel mit einem medianen massenbezogenen aerodynamischen Durchmesser (MMAD) zwischen 3–5 Mikrometern, sodass PM2,5 gegebenenfalls sogar noch leichter in die kleinen Atemwege eingeatmet werden kann. Das bedeutet, dass diese Partikel einen enormen Einfluss auf die Morbidität und Mortalität haben können, selbst bei Menschen ohne Vorerkrankungen der Atemwege.

In der Tat gibt das Forum of International Respiratory Societies (FIRS) an, dass PM2,5 für mehr als 4 Millionen Todesfälle und 103 Millionen verlorene behinderungsbereinigte Lebensjahre (DALYs) pro Jahr verantwortlich sind. Aufgrund ihrer Grösse können diese Partikel bei den kleinen Atemwegen leicht zu Reizungen und Entzündungen führen, und sie sind sogar in der Lage, die Alveolenwände zu erodieren.

Das führt zwangsläufig zu einem deutlich erhöhten Risiko für zahlreiche Atemwegserkrankungen und verschlimmert die Symptombelastung für Menschen, die bereits an Atemwegserkrankungen leiden. Eine Längsschnittstudie der American Cancer Society mit fast 190.000 Nierauchern ergab, dass für jeden Anstieg der PM2,5-Dichte um 10 Mikrometer pro Kubikmeter das Lungenkrebsrisiko um bis zu 27 % anstieg, wobei Personen mit einer Atemwegserkrankung anderer Ätiologie das höchste Risiko aufwiesen. Diese Partikel lösen ausserdem Immunreaktionen aus, steigern die Bildung entzündungsfördernder Zytokine und können sogar die Zilienfunktion hemmen, was zu einem hohen Infektionsrisiko führt. Und sie können zudem zur Bildung von fibrotischem Gewebe und anderen interstitiellen Lungenerkrankungen führen.

Kann das Einatmen von Rauch auch andere Organe als die Lunge beeinträchtigen?

Die kleinsten Partikel der PM2,5-Klasse können Organe weit über die Lunge hinaus beeinträchtigen. Partikel dieser Grössenordnung können die Alveolenmembran durchdringen und in den Blutkreislauf eindringen, wodurch sie potenziell jedes Organsystem beeinträchtigen können. Leider steckt die Erforschung dieser sogenannten «Nanopartikel» noch in den Kinderschuhen, und es gibt noch viele offene Fragen darüber, wie verbreitet sie in Rauch und anderen Formen der Luftverschmutzung sind, wie sie sich im Körper verteilen und welche genauen Auswirkungen sie auf die verschiedenen Organe haben. Erste Studien weisen auf ganz unterschiedliche Effekte hin – angefangen von Beeinträchtigungen bei der Blutgerinnung bis hin zu möglicher Karzinogenese. Schlimmer noch: Es wird angenommen, dass diese Partikel über Jahre im Körper verweilen können und sich nach und nach in verschiedenen Systemen anreichern – mit unbekannten Folgen.

Was sind leichtflüchtige Substanzen?

Diese Verbindungen sind ein buchstäblich unsichtbarer Bestandteil im Rauch von Waldbränden, und ihre gesundheitlichen Risiken werden daher manchmal unterschätzt, insbesondere wenn es um die Luftqualität im Freien geht. Zu diesen Substanzen gehören sowohl häufig vorkommende (wie Naphthalin in Mottenkugeln oder das bereits erwähnte Formaldehyd) als auch exotische (wie Benzo[b]fluoranthen), mit jeweils unterschiedlichen Folgen für die menschliche Gesundheit.

Das grösste von diesen Molekülen ausgehende Risiko ist die Entstehung verschiedener Krebsarten, nicht nur der Lunge und der Haut (wo man sie aufgrund der direkten Einwirkung erwarten würde), sondern auch von inneren Organen wie Blase und Bauchspeicheldrüse. In Bezug auf Waldbrände war das Risiko für diese Krebsarten bisher relativ gering, wenn man mal von beruflichen Risiken absah, wie z. B. bei Feuerwehrleuten, die nachweislich ein dreifach höheres Risiko für Lungenkrebs im Laufe ihres Lebens hatten. Da unser Planet jedoch in eine Phase gehäufter Megafeuer eintritt, ist bisher unklar, ob es bei längerer Belastung in bestimmten brandgefährdeten Regionen nicht zu einer Zunahme solcher Krebsarten kommen könnte.

Gesundheitlichen Auswirkungen von leichtflüchtigen Substanzen auf die Atemwege

Noch besorgniserregender sind jedoch die Sekundäreffekte dieser Substanzen, die nämlich dazu neigen, sich mit Stickoxidverbindungen zu verbinden (die ebenfalls bei der Verbrennung entstehen) und Ozon zu bilden. Ozon ist aber wiederum ein bekannter Reizstoff für die Atemwege, der bei fast allen Populationen Bronchospasmen und vermehrte Entzündungen verursacht. Darüber hinaus wurde Ozon nicht nur mit der Verschlimmerung sondern sogar mit der Entstehung von COPD und Asthma in Verbindung gebracht – sowie mit einem erhöhten Risiko für Atemwegsinfektionen.

Meistens werden die leichtflüchtigen Substanzen, die bodennahes Ozon verursachen, durch Dinge wie Rasenmähermotoren und ähnliches erzeugt. In Jahren mit vielen Bränden wurden jedoch auch Waldbrände mit einem regionalen Anstieg der Ozonwerte in Verbindung gebracht. Der Effekt ist dabei auch nicht unbedingt auf eine kleine räumliche Umgebung beschränkt: Im August 2020 gab es in Denver, Colorado, mehrere Tage mit Ozonwerten, die weit über dem bundesstaatlichen Grenzwert lagen, wobei die örtlichen Behörden diesen Anstieg nicht nur auf die Waldbrände in Colorado, sondern auch im weit entfernten Kalifornien zurückführten.

Was sind toxische Gase und hat deren Einwirkung Einfluss auf die Gesundheit der Atemwege?

Keine Diskussion zur Umweltverschmutzung wäre vollständig ohne die Erwähnung der anderen Gase, die bei einer Verbrennung entstehen, insbesondere Kohlenmonoxid und -dioxid. Diese Verbindungen sind nicht unbedingt flüchtig und man kann sie nicht wirklich als Partikel bezeichnen, dennoch haben sie einen erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit. Für Menschen mit gesunder Lunge stellen diese Gase im Allgemeinen weniger ein Problem dar, da sie sich normalerweise nicht in ausreichender Konzentration ausbreiten, um einen grösseren Schaden anzurichten.

Für Menschen mit Atemwegsproblemen, die sich in der Nähe eines Brandes aufhalten, können diese Gase jedoch ein erhebliches Problem darstellen. Insbesondere Kohlenmonoxid kann aufgrund der Beeinträchtigung der Sauerstofftransportkapazität von Hämoglobin einen Blutdruckanstieg verursachen, was wiederum zu Schmerzen in der Brust sowie zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Zudem kann Kohlenmonoxid bis weit in die Atmosphäre aufsteigen und grosse Entfernungen zurücklegen, bevor es wieder nach unten gedrückt wird, wodurch es auch für Menschen zu Problemen führen kann, die sehr weit vom Brandherd entfernt sind. Kohlenmonoxid aus den kalifornischen Waldbränden im Jahr 2020 wurde von der NASA bis in die Region der Grossen Seen verfolgt.

Stellen Waldbrände eine erhöhte Belastung für die Lungengesundheit dar?

Ähnlich wie bei seinen flüchtigeren Artgenossen ist der wichtigste Effekt von Kohlendioxid im Zusammenhang mit Waldbränden sekundär: Die Freisetzung massiver Mengen von CO2 aus den Bränden in die Atmosphäre wirkt sich auf das Klima aus und macht weitere Brände (mit daraus resultierender Luftverschmutzung) wahrscheinlicher. Bisher hat dies vielleicht keine so grosse Rolle gespielt, da die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens vielleicht ein- oder zweimal einer Brandkatastrophe ausgesetzt waren. Nach Ansicht von Atmosphärenforschern werden diese Brände jedoch immer häufiger und bergen unbekannte sich anhäufende Gesundheitsrisiken. Je grösser die einzelnen Brände werden, desto mehr Kohlendioxid setzen sie frei (die Brände in Kalifornien haben die Kohlendioxid-Emissionen des Bundesstaates auf mehr als 125 % des jährlichen Normalwerts erhöht), was zu bisher unbekannten Gesundheitsrisiken führen kann.

Klar ist, dass selbst die derzeitigen Gesundheitsrisiken durch Luftverschmutzung im Zusammenhang mit Waldbränden bereits signifikant sind, und wir haben bisher kaum an der Oberfläche der Bereiche gekratzt, die ausserhalb des Lungensystems liegen Wie uns jedoch die Ozondaten aus Colorado (sowie ähnliche NASA-Daten, die darauf hindeuten, dass der Rauch sibirischer Waldbrände die US-Pazifikküste beeinträchtigt) zeigen, kann die Luftqualität durch Faktoren und Ereignisse beeinflusst werden, die weit ausserhalb der örtlichen Kontrolle liegen. Viele Ärzte fragen sich demzufolge, wie zumindest die Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen geschützt werden können und wie die Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens die allgemeine Bevölkerung schützen können.

Wie können wir die Risiken von Waldbrandrauch verringern?

Glücklicherweise hat die Umweltschutzbehörde der USA im Rahmen des AirNow-Programms einen Leitfaden entwickelt, mit dessen Hilfe medizinische Fachkräfte Patienten Ratschläge zum optimalen Schutz ihrer Lunge geben können. Die Ratschläge reichen von recht einfach («Bleiben Sie drinnen») bis hin zu Empfehlungen zur Vorbereitung und Überlegungen zur Infrastruktur sowie zu Klimaanlagen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Dabei erinnert der Leitfaden auch daran, dass die Luftqualität in Innenräumen genauso wichtig sein kann, wie die Luft im Freien, und dass die Menschen ihre Luftqualität nicht unbedingt als selbstverständlich betrachten sollten, insbesondere wenn die Innenräume ihr einziger sicherer Zufluchtsort sind. Der Waldbrandrauch-Leitfaden ist zusammen mit einem hilfreichen Online-Video kostenlos erhältlich.

Kann Waldbrandrauch Menschen mit gesunder Lungenfunktion beeinträchtigen?

Man könnte geneigt sein, Waldbrandrauch als ein vorübergehendes Ereignis abzutun, das irgendwo anders passiert. Für eine sehr lange Zeit war dies vielleicht sogar richtig. Eines der unvergesslichen Bilder der Australian Open 2020, dem ersten grossen Tennisturnier des Jahres, war jedoch eine Teilnehmerin, die durch einen Hustenanfall sprichwörtlich in die Knie gezwungen wurde, was letztendlich zum Abbruch des Matches führte. Mehrere andere Matches wurden aus medizinischen Gründen verzögert, und eine Zeit lang wurde sogar diskutiert, ob das ganze Turnier aus gesundheitlicher Sicht unbedenklich sei.

Diese Athleten sind in Topform und an die extremen Herz-Kreislauf-Belastungen ihres Sports gewöhnt. Trotzdem hatten sie Schwierigkeiten beim Atmen. In Anbetracht der sich ändernden Klimaverhältnisse und der zunehmenden Bedrohung durch wiederholte, grossflächige Waldbrände sollten Ärzte erkennen, dass praktisch jeder Mensch überall von den Auswirkungen von Waldbrandrauch betroffen sein kann. Eine gute Vorbereitung ist unerlässlich, besonders wenn es darum geht, die Lungenfunktion derjenigen zu schützen, bei denen bereits ein Lungenproblem diagnostiziert wurde. Eine korrekte Diagnostizierung der Lungenfunktion, optimierte Behandlungspläne und eine patientenzentrierte Kommunikation können dazu beitragen, dass die Menschen auch bei drohenden Waldbränden weiter gut durchatmen können.

Michael Hess
Michael Hess
BS, RRT, RPFT
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