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26. Januar 2021· 7 Minuten Lesezeit

Long-COVID: Welche Langzeitfolgen treten auf?

Bei bis zu 40 % der Betroffenen treten auch 100 Tage nach der COVID-Diagnose noch Symptome auf. Welche Auswirkungen hat COVID auf die Lungengesundheit von Patienten, die sich von der Krankheit erholen?

Long-COVID oder Post-COVID-Syndrom

Jeder Tag in dieser COVID-19-Pandemie hat eine weitere Überraschung mit sich gebracht, ein weiteres Rätsel, ein weiteres Learning. Zu Beginn ging es vor allem um die Frage, wie sich das SARS-CoV-2-Virus ausbreitet, sowie um Behandlungsmöglichkeiten und dergleichen. Die Ausbreitung des Virus zu verhindern, hatte oberste Priorität, selbst als die Forschung nach einem Impfstoff bereits auf Hochtouren lief. Neue Symptome wurden in Betracht gezogen, zusätzliche verwandte Syndrome wurden evaluiert, und es gab Fortschritte bei der Frage, wie man Menschen nicht nur nach überstandener Krankheit wieder aus dem Krankenhaus entlassen kann, sondern auch dafür sorgt, dass sie gar nicht erst ins Krankenhaus müssen.

Viele Punkte sind noch ungeklärt, aber gleichzeitig haben die bisherigen Antworten bereits einen völlig neuen Fragenkomplex für Forscher und Ärzte eröffnet: Was sind die Langzeitfolgen von COVID-19 für die Betroffenen, die sich von der Krankheit erholen? Die meisten Menschen schienen sich zunächst vollständig von COVID-19 zu erholen und kehrten zu ihrem normalen Gesundheitszustand zurück. Dann jedoch, im späten Frühling und Frühsommer 2020, zeigte sich ein seltsames Phänomen: Eine signifikante Zahl von Patienten litten nach einer überstandenen akuten COVID-19-Erkrankung auch Wochen und selbst Monate später noch an Symptomen. So wurde der Begriff Long-COVID oder Post-COVID-Syndrom geprägt.

Was wissen wir über Long-COVID oder das Post-COVID-Syndrom?

Noch merkwürdiger ist, dass Long-COVID scheinbar ohne ein erkennbares Muster auftrat. Die üblichen Risikofaktoren für Folgeerkrankungen, wie Krankenhausaufenthalt, Intubation usw., schienen wenig Einfluss darauf zu haben, ob jemand Covid-Langzeitpatient wurde. Bisher junge, gesunde Menschen sahen kein Ende bei ihren Erschöpfungszuständen sowie anderen Atemwegskomplikationen und Folgeerscheinungen.

Um herauszufinden, wie sich Long-COVID auf die Atemwege auswirkt, entwickelte eine österreichisches Arbeitsgruppe eine prospektive Multi-Center-Studie, um zumindest die mittelfristigen Auswirkungen abzuschätzen. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im European Respiratory Journal unter dem Titel «Cardiopulmonary recovery after COVID-19 – an observational prospective multi-center trial» veröffentlicht und bieten interessante Einblicke in die post-akute Genesungsphase – aber vielleicht auch etwas Hoffnung für die Zukunft*.

Heutzutage ist es üblich, den SARS-CoV-2-Erreger als «das Coronavirus» zu bezeichnen, wahrscheinlich, weil dieser Begriff die grösste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass dieses Virus nur das jüngste in einer Reihe von Coronaviren ist. Dieser Virustyp ist der Wissenschaft schon seit den 1960er Jahren bekannt (und der Menschheit wahrscheinlich schon viel länger) und hat schon früher verheerende Schäden auf der Welt angerichtet.*

Bei Betrachtung einiger dieser früheren Ausbrüche (insbesondere das MERS-CoV-Virus im Nahen Osten 2012 und die berüchtigte SARS-Episode 2002), stiess die österreichische Arbeitsgruppe auf mehrere Studien, die bei etwa einem Drittel der Überlebenden fibrotisches Gewebe in der Lunge nachwiesen.

Langfristige Auswirkungen von COVID-19 auf die Gesundheit der Atemwege

Da das aktuelle Virus eine grosse genetische Ähnlichkeit mit diesen beiden Erregern aufweist (insbesondere mit seinem Namensvetter, der inzwischen SARS-CoV-1 genannt wird), hatten Forscher eine Explosion von Lungenfibrose-Fällen befürchtet, die das öffentliche Gesundheitswesen und die ambulante Versorgung ebenso stark belasten würden, wie die akute Covid-Erkrankung die Intensivstationen überlastet hat. Die Studie wurde daher darauf ausgerichtet, sich auf fibrotische Indikatoren zu konzentrieren, einschliesslich allgemeiner Dyspnoe-Scores, dabei ganz konkret auf die modifizierten Medical Research Council (mMRC)-Scores, sowie Lungenfunktionstests (einschliesslich Diffusions-/Transferkapazität) und Niedrigdosis-CT-Scans des Thorax. Aufgrund des Zusammenspiels zwischen dem respiratorischen und dem vaskulären System, insbesondere bei Vorliegen einer Fibrose, wurden ausserdem einige zusätzliche Untersuchungen (wie z. B. Echokardiographien) durchgeführt. Patienten wurden nach einer durch PCR bestätigten COVID-19-Diagnose in die Studie aufgenommen und zweimal zur Nachuntersuchung gebeten, einmal nach 60 Tagen und einmal nach 100 Tagen.

Wie verbreitet ist Long-COVID?

Aus klinischer Sicht waren die Ergebnisse bemerkenswert. Etwa ein Viertel der Kohorte berichtete über einen gewissen Grad an Schlafstörungen (einschliesslich nächtlicher Schweissausbrüche und neu diagnostizierter Schlafstörungen), und fast 40 % berichteten bei der Nachuntersuchung nach 100 Tagen über anhaltende Probleme mit Atemaussetzern (Dyspnoe). Die Bildgebungsdaten ergaben ähnlich schlechte Neuigkeiten: 63 % der Probanden wiesen Anomalien auf, darunter Milchglastrübungen und anhaltende Konsolidierungen, die sich im Allgemeinen auf die Unterlappen beider Lungen konzentrierten. Auch die Lungenfunktionstests zeigten keine wesentlich besseren Ergebnisse: Ein Drittel der Probanden wies bei der zweiten Untersuchung bei ihren DLCO-Messungen oder Lungenvolumina Defizite auf. Die meisten aus dieser Gruppe zeigten zudem Anzeichen einer Hypoxämie, gut 20 % unter ihnen wiesen im Ruhezustand einen pO2-Wert von 65 mmHg oder weniger auf.

Um diese Ergebnisse im Kontext nochmal zu verdeutlichen: Die zweite Nachuntersuchung erfolgte volle drei Monate, nachdem diese Patienten die Krankheit «offiziell überstanden» hatten. Ausserdem ist festzuhalten, dass zwar postakute Folgeerscheinungen bei einer Vielzahl schwerer Erkrankungen (z. B. ARDS) nicht ungewöhnlich sind, aber nur 22 % dieser COVID-Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts auf die Intensivstation verlegt wurden.

Das bedeutet, dass selbst bei relativ milden Fällen von COVID-19 gegebenenfalls erhebliche Beeinträchtigungen der Lungenfunktion und der Lebensqualität auftreten können, die weit über die Entlassung des Patienten hinaus andauern und sich vermutlich auf medizinische, soziale und andere Aspekte der Heilungsphase auswirken. Hundert Tage hören sich möglicherweise nicht nach einer besonders langen Zeit an, aber es ist sicherlich lang genug, um grössere sozioökonomische Beeinträchtigungen zu verursachen, wie z. B. den Verlust des Arbeitsplatzes und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme, und die möglicherweise zur Entwicklung von Angstzuständen, Depressionen, posttraumatischem Stress (häufig bei ARDS-Überlebenden zu beobachten) und anderen psychischen Problemen führen.

Ist Long-COVID von Dauer?

Glücklicherweise sind die Daten nicht völlig entmutigend. In praktisch jeder Kategorie, einschliesslich Funktionsstatus, Lungenfunktion und den meisten radiologischen Anomalien, wurden zwischen der ersten und zweiten Nachuntersuchung signifikante Verbesserungen festgestellt. Wie die Autoren erwähnen, stimmt dies mit früheren Studien überein, die sich mit Themen wie dem bereits erwähnten ARDS (sowie dem ursprünglichen SARS selbst) befassten, bei denen die meisten Funktionen innerhalb eines Jahres nach dem Insult zum physiologischen Normalzustand zurückkehrten*.

Darüber hinaus weisen die Autoren nachdrücklich auf die Tatsache hin, dass die Studie in den Anfangsphasen der Pandemie begonnen wurde und es daher etwas schwierig war, vor COVID-19 durchgeführte kardiopulmonale Untersuchungen bei vielen dieser Patienten zu erheben. Dies könnte bedeuten, dass ein gewisser Prozentsatz unterschwellige Störungen hatte, die erst durch die COVID-19-Erkrankung zum Vorschein kamen. Bestimmte technische Einschränkungen führen ebenfalls zu einer gewissen Unsicherheit, wie z. B. die schwierige Abgrenzung zwischen einer sich entwickelnden Fibrose im Frühstadium und einer abklingenden Entzündung im Spätstadium.

In der Summe bieten diese Einschränkungen dann doch einen gewissen Grund zum Optimismus. Wenngleich schwerwiegende Folgeerkrankungen durchaus möglich sind, gibt es bisher keine zwingenden Anhaltspunkte dafür, dass uns eine massive Epidemie an Lungenfibrosen oder ähnlichen Erkrankungen bevorsteht. Es besteht durchaus Grund zur Hoffnung, dass die meisten COVID-19-Überlebenden zu ihrem Atemzustand vor der Erkrankung zurückkehren werden und keine weiteren Rehabilitationsprogramme oder andere Therapien benötigen. Und die Erkenntnisse, die bei der Akutbehandlung von COVID-19 weiterhin gewonnen werden, werden das Risiko von Nebeninsulten (wie beatmungsassoziierte Lungenschäden), die ebenfalls bleibende Schäden verursachen können, minimieren.

Wie können wir die Risiken von Long-Covid verringern?

Noch immer gibt es bei COVID-19 viele Unbekannte. Wir wissen noch immer nicht, wie wirksam die zugelassenen (und zukünftigen) Impfstoffe letztendlich die Pandemie eindämmen werden. Wir wissen nicht, wie langfristig solche Wendungen wie «Abstand halten» und «im Alltag Maske tragen» zu unserem Wortschatz gehören werden. Und wir wissen noch nicht genau, wie die Zukunft für COVID-19-Überlebende und ihre Angehörigen aussehen wird.

Andererseits bieten diese Unbekannten auch eine enorme Fülle an Chancen und Möglichkeiten für Mediziner. Im weiteren Verlauf der Pandemie werden Lungenfunktionstests eine zunehmend wichtige Rolle bei der Einschätzung von Dauer und Schweregrad möglicher Folgeerkrankungen der Atemwege spielen. Das öffentliche Gesundheitssystem wird sich bei der Beantwortung dieser Fragen stark auf die PFT-Fachwelt verlassen. Die bisherigen Anzeichen deuten darauf hin, dass Long-COVID ein weitgehend restriktiver Prozess ist, der den Gasaustausch beeinträchtigt, sodass eine einfache Spirometrie in der ambulanten Praxis möglicherweise nicht ausreicht, um alle Fragen zu klären.

In dem Masse, wie Rehabilitationsprogramme für COVID-19-Langzeitpatienten besser ausgearbeitet werden, wird die PFT-Gemeinschaft bei der Arbeit mit diesen Programmen eine grosse Rolle spielen, um Standards für die Eignung und Wirksamkeit festzulegen. Es ist völlig offensichtlich, dass DLCO-Tests bei Patienten nach einer COVID-Erkrankung entscheidend für die langfristige Aufrechterhaltung ihrer Lungengesundheit sind.

Diese Studien sind erste Ansätze zur Ermittlung der Risikofaktoren und physiologischen Veränderungen, die nach dem Abklingen einer ‚akuten‘ COVID-19-Erkrankung auftreten. Aufgrund der Komplexität und des Zeitrahmens dieser Studien hatten sie zwar nur einen begrenzten Umfang, trotzdem liefern sie wichtige Erkenntnisse darüber, was die Krankheit potenziell mit den Betroffenen macht, insbesondere mit ihrer Lunge. Sie stellen eine wichtige Grundlage für die medizinische Fachwelt dar, um darauf aufbauend weiterführende Studien durchzuführen und ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, worauf bei COVID-19-Überlebenden besonders zu achten ist, um Folgeerkrankungen wirksamer behandeln zu können. Sie bieten sowohl Hoffnung als auch eine Chance für die PFT-Gemeinschaft und zeigen die kritische Rolle, die dieses Fachgebiet in den kommenden Jahren im Bereich der öffentlichen und kommunalen Gesundheit spielen wird.

Michael Hess
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BS, RRT, RPFT
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