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28. September 2021· 7 Minuten Lesezeit

Testen Sie Ihre Lunge, bestimmen Sie Ihre Werte 

Ähnlich wie ein hoher Blutdruckwert einen Arzt dazu veranlasst, nach den Ursachen für eine Hypertonie zu suchen, geben Lungenfunktionswerte Ärzten Anhaltspunkte für die Behandlung bei Atemproblemen.

Zahlen sind in der Medizin allgegenwärtig. Atemzüge werden gezählt, um die Atemfrequenz zu ermitteln, ebenso wie Herzschläge, Blutdruck, Zellzahlen und Temperaturen. Selbst der Schmerzpegel eines Menschen wird als Zahl angegeben. Diese Werte werden natürlich aufgezeichnet, ausgewertet und nachverfolgt, um herauszufinden, ob der Betreffende eine spezielle Behandlung benötigt oder vielleicht die derzeitige Behandlung ausreicht. Die meisten dieser Werte sind verfeinerte Ableitungen sehr komplexer Vorgänge. So kann der Blutdruck beispielsweise von der Stärke des Herzmuskels, dem aktuellen Hydratationsstatus eines Menschen und dem momentanen Stressniveau beeinflusst werden, wobei keiner dieser Faktoren tatsächlich durch die systolischen bzw. diastolischen Zahlen wiedergegeben wird. Deshalb fordern viele klinische Lehrkräfte ihre Studenten auf, sich auf die Behandlung des Patienten zu konzentrieren und nicht auf ihre Zahlenkolonnen. Aber wie können wir entscheiden, womit wir bei der Behandlung ansetzen sollen, wenn wir nicht auf die Werte schauen? Sie bieten eine fundierte Ausgangsbasis, auf der wir unsere individuellen Behandlungspläne aufbauen können. Ohne sie wird jede klinische Entscheidung zu einer Mutmassung.

Testen Sie Ihre Lunge

Die verschiedenen Fachbereiche stützen sich auf unterschiedliche Zahlensätze, von denen einige bekannter sind als andere. Wenn jemand zum Kardiologen geht, kennt er höchstwahrscheinlich seine Pulsfrequenz und seinen Blutdruck – zumindest kennt er sie gut genug, um zu wissen, dass etwas im Argen liegt. In ähnlicher Weise haben Endokrinologen und andere Fachleute auf dem Gebiet der Stoffwechselmedizin es geschafft, dass viele Menschen besser über Themen wie Blutzuckermessung und Hämoglobin-A1c-Daten Bescheid wissen. Leider sind viele der für die Überwachung der Lungengesundheit hilfreichen Indikatoren für die breite Öffentlichkeit noch immer ein Rätsel. Trotz entsprechender Bemühungen, die bis zu den frühen Veröffentlichungen des National Lung Health Education Program Mitte der 1990er Jahre zurückreichen, wissen nur sehr wenige Menschen, dass es FEV1, FVC oder FEV6 überhaupt gibt, und noch viel weniger haben sie eine Vorstellung davon, wo ihre individuellen Messwerte einzuordnen sind.

In Post-Corona-Zeiten müssen wir diesbezüglich besser werden. Wir wissen, dass die Folgen der Krankheit noch Wochen und Monate nach der Erstinfektion nachwirken können, aber wir haben nur begrenzte Erkenntnisse darüber, wie schwerwiegend diese Folgen sein werden. Jedoch werden wir diese Vorhersagen nicht treffen können, wenn wir nicht über einen robusten Datensatz verfügen, der Baseline-Informationen und laufende Testergebnisse in einer Vielzahl von Alterskohorten und Bevölkerungsgruppen umfasst. Wenn wir unsere Datenerfassung intensivieren, können wir möglicherweise auch Erkenntnisse über eine Vielzahl anderer Atemwegserkrankungen gewinnen, einschliesslich Asthma, COPD und interstitielle Erkrankungen.

Am einfachsten lassen sich diese Daten durch den verstärkten Einsatz von Lungenfunktionstests (PFT) erheben, angefangen mit der Spirometrie. Die Spirometrie misst den physischen Luftstrom in und aus der Lunge und liefert mehrere Werte, die für die Diagnose von Atemwegserkrankungen unerlässlich sind. Der erste (und sicher bekannteste) Wert ist das forcierte exspiratorische Volumen in einer Sekunde oder FEV1. FEV1 ist einfach die Menge an Luft, die nach einer maximalen Inhalation innerhalb einer Sekunde kraftvoll aus der Lunge ausgestossen werden kann.* Die von der Testperson ausgeatmete Menge wird anschliessend mit einem vorhergesagten Wert verglichen, der aus umfangreichen Datensätzen abgeleitet wird, in denen Personen mit ähnlichem Alter, ähnlicher Grösse und anderen anthropometrischen Werten verglichen werden. Die resultierende Prozentzahl liefert einen ersten Anhaltspunkt für die physiologischen Veränderungen, die sich signifikant auf diesen Wert auswirken können, wobei obstruktive Erkrankungen wie COPD und Asthma den Prozentsatz im Vergleich zu den vorhergesagten Werten verringern und restriktive Erkrankungen ihn möglicherweise erhöhen.

Eng verwandt mit der FEV1 ist die forcierte Vitalkapazität oder FVC. Dies ist die Menge an Luft, die während der gesamten forcierten Exhalation ausgeatmet wird.* Wie der Name schon sagt, gibt sie Aufschluss über die Gesamtmenge an Luft, die die Lunge aufnehmen kann. Wie bei der FEV1 werden auch die FVC-Messungen basierend auf den Charakteristiken des Patienten mit vorhergesagten Werten verglichen. Isoliert betrachtet sind die FVC-Ziffern nur begrenzt hilfreich, aber sie gewinnen deutlich an Bedeutung, wenn sie auch mit der FEV1 verglichen werden und eine erste Unterscheidung zwischen restriktiven Erkrankungen (bei denen FEV1 und FVC im gleichen Verhältnis vermindert sind) und obstruktiven Erkrankungen (bei denen FEV1 im Verhältnis zu einer FVC-Beeinträchtigung stärker vermindert ist) ermöglichen.

Dabei ist natürlich der reine Sauerstofftransport in die Lunge nur ein Aspekt der Atmung. Die Sauerstoffmoleküle müssen sich auch aus den Lungenbläschen in den Blutkreislauf bewegen, um ihre Wirkung zu entfalten, und natürlich muss auch das Kohlendioxid irgendwie abtransportiert werden, um eine Vergiftung zu vermeiden. Mit fortschrittlicheren Lungenfunktionstests stehen uns Zahlen zur Verfügung, um auch diese Bewegung zu messen. Dieser Test verwendet Spurenmengen von Kohlenmonoxidgas wegen seiner grossen Affinität zu Hämoglobin (dutzendfach höher als Sauerstoff), wodurch die PFT-Ausrüstung messen kann, wie gut Moleküle die Alveolarmembran durchdringen, und so einen Hinweis auf Atemprobleme geben, die selbst bei einem relativ normalen Atemstrom auftreten.* Dieser Wert, bekannt als DLCO oder TLCO bzw. Kohlenmonoxid-Diffusionskapazität der Lunge, wird oft nicht ausreichend genutzt, ist aber zunehmend von Interesse angesichts der fibrotischen Veränderungen, die in vielen Fällen von COVID-19 auftreten.

Bestimmen Sie Ihre Lungenfunktionskennwerte

Wenn Zahlen wie FEV1, FVC und sogar DLCO-Werte im Vergleich zu den komplexen Prozessen, die die eigentliche Pathophysiologie ausmachen, tatsächlich vereinfacht sind, warum wollen wir uns dann so sehr auf sie konzentrieren? Ist es wirklich möglich, diese Zahlen sinnvoll zu verwenden? Natürlich! Ähnlich wie ein hoher Blutdruckwert einen Arzt dazu veranlasst, nach den Ursachen für eine Hypertonie zu suchen, geben Lungenfunktionswerte Ärzten Anhaltspunkte für die Behandlung bei Atemproblemen.
Darüber hinaus können all diese Werte Warnzeichen für zukünftige Probleme sein. Ein unterschätzter Vorteil regelmässiger Lungenfunktionstests ist die Möglichkeit, Trends über einen längeren Zeitraum aufzuzeigen. Bedenken Sie, dass die PFT-Zahlen in der Regel nicht auf dieselbe Weise ausgewertet werden wie z. B. das Blutbild. Bei letzterem gibt es objektive Grenzwerte und Normbereiche, während PFT-Daten mit Prognosen verglichen werden, die auf der Analyse von Populationen basieren. Das heisst, dass eine Person zwar Lungenfunktionswerte ausserhalb der vorhergesagten Bereiche haben kann, diese Werte aber gegebenenfalls völlig normal für sie sind und nur minimale oder gar keine Auswirkungen auf ihre Lebensqualität haben. Dies kann besonders verwirrend sein bei Personen, deren Lungenfunktionswerte überdurchschnittlich hoch sind, denn wenn sie sich verschlechtern, geraten sie in den «normalen» Bereich, was ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln kann, wenn die Tests schliesslich durchgeführt werden.
Auch in der Forschung wird es immer wichtiger, eine Baseline zu etablieren. Achtzehn Monate nach Beginn der Corona-Pandemie versucht die Medizinwissenschaft immer noch, die anhaltenden Auswirkungen von «Long Covid» in den Griff zu bekommen, selbst bei Menschen, die nur relativ leicht oder mittelschwer erkrankt waren.* Viele dieser Betroffenen leiden unter anhaltender Kurzatmigkeit sowie kardiovaskulären und neurologischen Problemen, von denen einige durch Veränderungen im Lungenkreislaufsystem und anderen Veränderungen im Lungengewebe erklärt werden können.* Es ist nicht klar, wie lange diese Symptome möglicherweise anhalten, denn selbst während der ursprünglichen SARS-Epidemie wurden Lungenfunktionstests nur unzureichend genutzt. Um auf künftige Ausbrüche von Atemwegserkrankungen vorbereitet zu sein, müssen wir noch besser verstehen, was auf unsere Patienten möglicherweise zukommt, damit wir bessere Behandlungs- und Rehabilitationspläne entwickeln können.

Auch wenn keine Trends zu erkennen sind, können PFT-Daten als Frühwarnindikatoren dienen.

Chronische Atemwegserkrankungen wie COPD werden erst diagnostiziert, wenn die Symptome schon so schwerwiegend sind, dass die Betroffenen damit zum Arzt gehen. Leider sind diese Symptome (Kurzatmigkeit, Einschränkung der Aktivitäten usw.) aber so unspezifisch, dass sie oft auf das Älterwerden oder eine schlechte Kondition zurückgeführt werden. Das heisst, die Diagnose wird erst gestellt, wenn bereits erhebliche Schädigungen aufgetreten sind. In der Tat bleiben viele Erkrankungen unentdeckt, bis ihr FEV1-Wert weniger als die Hälfte des vorhergesagten Wertes beträgt.*  Hier gibt es hervorragende Möglichkeiten einer frühzeitigeren Diagnose, einer schnelleren Behandlung und einer Verlangsamung des Krankheitsverlaufs. Auch eine Erkrankung der kleinen Atemwege, eine Vorstufe eines Emphysems, wird mit einer beeinträchtigten DLCO in Verbindung gebracht*. Durch das Messen der DLCO, insbesondere bei Menschen mit Risikofaktoren (wie Tabakrauchen oder berufsbedingte Exposition), können Ärzte gezielter nach Lösungen suchen, die die Lebensqualität aller Patienten verbessern.

Wir kommen der Weisheit näher

Als ich Atemwegserkrankungen studiert habe, war eines der ersten Dinge, die uns beigebracht wurden, «den Patienten zu behandeln, nicht die Zahl». Umgekehrt riet kein Geringerer als Dr. Thomas Petty den Menschen so oft, «Testen Sie Ihre Lunge, bestimmen Sie Ihre Werte», dass dies zum Motto des National Lung Health Education Programs wurde. Diese beiden Ansätze scheinen sich zu widersprechen, aber ich würde behaupten, dass sie sich in Wirklichkeit ergänzen. Wir dürfen zwar nicht zu sehr an den abstrakten Zahlen festhalten und dabei vergessen, den Menschen zu sehen, der vor uns steht – aber andererseits haben wir auch keine Basis für einen Behandlungsplan, wenn wir nicht verstehen, wofür diese Werte stehen. Indem wir Lungen testen und diese Werte bestimmen, können wir unseren Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen lassen.

Michael Hess
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BS, RRT, RPFT
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